Datenpolitik #12: Regierungsprogramme und Wahlversprechen
Über 60 EU-Institutionen erlassen Regeln für den digitalen Raum. Noch im Juli möchten jetzt auch noch die UN eigene Digitalregeln erlassen.
EU-Regulierungsflut: Sind es viele Köpfe? Oder viele Köche (die den Brei verderben)?
Über 60 EU-Instititutionen beschäftigen sich mit der Regulierung digitaler Themen. Über 60 verschiedene Ämter, Behörden - das ist eine gewaltige Menge, die auf den ersten Blick alle EU-Vorturteile, die man nur haben kann, zu bestätigen scheint. Das Interoperable Europe Board und die Interoperability Advisory Group beschäftigen sich möglicherweise mit ähnlichen Themen, ganze zwölf Institutionen haben sich Cybersecurity auf die Fahnen geschrieben.
Allerdings sind in den über 60 Institutionen auch diverse Abteilungen der EU Kommission eingerechnet, in der schlichten Vielzahl ist auch mit Doubletten zu rechnen. Die Übersicht stammt aus einem Dataset des großteils öffentlich finanzierten Bruegel-Think Tanks.
Die meisten Institutionen mischen bei Security-Themen mit. Media ist das Stiefkind: Es ist der einzige von zwölf angeführten Bereichen, für den sich nur eine einzige Institution zuständig fühlt. Das European Board for Media Services wurde im April 2024 eingerichtet und führt wie so viele europäische Institutionen ein Phantomdasein. Das Board ist ein Output des European Media Freedom Act, der bislang sehr unterschiedlich interpretiert wird. Grundlage des Boards ist eine sehr ausführliche Regulierung; leicht verständliche Zusammenfassungen zu Aufgaben, Mitgliedern und relevanten Themen drängen sich aktuell nicht auf. Das Board soll wohl die Kommission beraten und Stellungnahmen abgeben.
Ebenfalls geradezu stiefmütterlich reguliert ist der Themenkomplex Intellectual Property, rund um den sich nur vier Institutionen tummeln. Jüngste Institution dabei ist der "Compulsory Licences Advisory Body".
Nach Cybersecurity sind Law Enforcement und Competition die von den meisten Institutionen bespielten Themenbereiche. Die Menge der Institutionen schlägt sich allerdings nicht zwingend auf die Menge der Regulierungen pro Themenbereich nieder.
Auf den Medienbereich sind gleich acht Regelungen anzuwenden, dabei sind die geplanten Advertising-Regeln noch gar nicht mitgezählt. Die meisten Regelungen - je gleich vierzehn - drehen sich um Data und Privacy sowie um E-Commerce und Consumer Protection. Auf den Plätzen folgen Wettbewerb und Trust and Safety. Rund um Cybersecurity, den Bereich mit den meisten mitredenden Institutionen, sind erst vier Regulierungen verabschiedet, drei weitere sind in Verhandlung.
Das Dataset ist ein Ausgangspunkt, der Interessierten Anknüpfungspunkte bietet, auch wenn es die Suche nach belastbarer Information nicht wirklich leichter macht. EU-Regelwerke und Regulierer erwecken vor allem den Eindruck, übermächtig viel zu sein. Schade ist, dass diese Informations- und Faktenflut so wenig greifbar wird. Grundsätzlich ist jede Informationsgrundlage öffentlich, das Dataset verlinkt zum aktuellen Status aller Regulierungen und zur Rechtsgrundlage der jeweiligen Organisationen oder Institutionen - aber trotzdem wird der interessierte Praktiker hier nicht schlau.
Der bleibende Eindruck: Der Dschungel ist undurchdringlich, und es erfordert Mut und gute Vorbereitung, sich darauf einzulassen. Das setzt falsche Anreize: Projekte drohen in Minenfelder zu geraten. Gutes Geschäft wittert man weniger in Innovation und Technik sondern in Organisation und Beratung. Wer vermitteln kann, im Regulierungsdschungel Orientierung zu bieten, hat eine solidere Geschäftsgrundlage als der eigentliche Problemlöser. Das macht wenig Freude.
UN-Digitalisierung: Menschenrechte? Naja, nehmen wir zur Kenntnis.
Und jetzt mischt auch die UN im digitalen Regulierungsspiel mit. Der UN Digital Compact soll Grundlagen, Werte und Strategien der Digitalpolitik global neu regeln.
Auch bei den Gesprächen zu diesem Regelwerk gilt: Musterbeispiel an Transparenz und Öffnung zur Zivilgesellschaft wird das keines mehr. Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, Zentralisierungstendenzen und die erkennbare Richtung, Staaten und staatlichen Institutionen mehr Verantwortung und Macht zuzuschreiben, haben für massive Kritik gesorgt. Die Entwicklung einer freien Netzinfrastruktur ist ganz wesentlich der Vielfalt nichtstaatlicher Organisationen zu verdanken, die das Netz wie wir es kennen gestaltet haben.
Es gibt natürlich eine Reihe von Gründen zwischen Versorgungssicherheit, Netzneutralität und Kampf gegen Desinformation und Internetsperren, warum stärkere Akteure auf dem Spielfeld eine gute Sache sein könnten. Allerdings habe ich Zweifel, ob stärkere staatliche Einbindung hier zielführend ist. An dieser Stelle muss ich immer an Kropotkin denken, der die Entstehung eines kapitalistischen Systems wie der Post als Paradebeispiel eines anarchistischen Prozesses sah: Ein Netzwerk internationaler Kooperation entstand aus Notwendigkeiten, ohne herrschaftliche Verordnungen und ist auch nicht durch einen einzigen herrschaftlichen Einflussbereich kontrollierbar. (Die Story ist im übrigen ein stets verlässlicher Test für die intellektuelle Beweglichkeit deklarierter Liberaler, die sich angesichts dieses für sie oft unvorstellbaren Gedankengangs als dogmatische elitäre Republikaner entpuppen.)
Der Compact wird aktuell in einer Revision 2 diskutiert - und neben den Verstaatlichungs- und Zentralisierungstendenzen fällt hier vor allem eine Aufweichung sämtlicher Freiheits- und Menschenrechtsaspekte auf. Anstelle von Forderungen nach der Berücksichtigung von Menschenrechtsaspekten in digitalen Regulierungen ist nun nur noch von Unterstützung oder gar nur Kenntnisnahme dieser Aspekte die Rede.
W3C und IETF haben ihre Bedenken nun in einem offenen Brief zusammengefasst. In Kurzform: Zu viel Staat, zu wenig Zivilgesellschaft.
70 regulierende Institutionen, Verstaatlichungs- und Zentralisierungstendenzen als Schreckensszenarien - ist Daten- oder Digitalpolitik ein Politikfeld, das am besten abseits klassischer Politik funktioniert?
Vor der Wahl: Was blieb von der Digitalpolitik des letzten Regierungsprogramms?
In Österreich startet demnächst die intensivere Phase des Nationalratswahlkampfs und natürlich werde ich gespannt sämtlichen daten- und digitalpolitischen Forderungen lauschen. Aber was stand eigentlich im aktuellen Regierungsprogramm zu Digitalpolitik?
In schwarzgrünen Regierungsprogramm macht Digitalpolitik acht von 232 Seiten aus; es ist der letzte Punkt im Programm. Eine ausführlichere Zusammenfassung der Punkte im Regierungsprogramm bietetet der Digital Austria Act.
Erwartungsgemäß finden sich einige Lückenfüller-Platitüden: Die Bundesregierung bekenne sich zu dem Ziel (was für eine anti-aussagekräftige Formulierung), Österreich zu einer der führenden Digitalnationen der EU zu machen, Breitbandausbau möge vorangetrieben werden, Digitalisierung in der Verwaltung und Open Data sind ebenfalls erwartbare Bekenntnisse. Überdies werde Österreich (und wir müssen uns hier ins Jahr 2019 zurückdenken) seine 5G-Vorreiterrolle ausbauen. Ich sitze gerade im Zug, die Verbindung schwankt zwischen Edge und kein Netz, aber eine kurze Recherche (gestern, über das urbane Breitband) hat gezeigt: Diese Unverschämtheit nimme jede Regierung Europas für sich in Anspruch. Insofern trägt Österreich hier unter Blinden tatsächlich nicht zumindest noch eine zweite Augenklappe über dem zweiten schwachsichtigen, aber nicht ganz blinden Auge.
Eine große Rolle spielen Pläne zur Digitales Amt-App. Nach langen Verzögerungen um E-ID und ID Austria habe ich dort tatsächlich zuletzt einfach eine Wahlkarte bestellt (und eine Bestätigung über deren Eingang bei der Walhbehörde eingesehen). Die Ablagemöglichkeit für ein Reisepassfoto ersetzt im Reiseverkehr noch keinen digitalen Ausweis, ist aber immerhin ein Lebenszeichen zu diesem Punkt, der im Regierungsprogramm auch eine große Rolle spielt.
Ö Cloud und Green IT sind weitere generische Platzhalter; bei der Schaffung von Räten, Beiräten und anderen Gremien war Österreich ja durchaus erfolgreich. Auch Blockchain-Initiativen wurden gestartet und es gibt tatsächlich eine österreichische KI-Strategie. Diese ist so visionär ihrer Zeit voraus, dass sie noch von Ex-Ministerin Margarete Schramböck präsentiert wird.
Klimaministerin Gewessler präsentiert hier ebenfalls mit und verweist auf den potenziellen Nutzen von KI auf der Suche nach Klimakrisenlösungen (was etwas an den Haaren herbeigezogen wirkt). Dementsprechend generisch und ethik- und werteorientiert ist die Strategie. In Hinblick auf Business und Technik lässt sie sehr viel Spielraum.
Nützlich wie die Resolution einer Bezirksvertretung für eine zukunftsorientierte Weltraumfahrt ist schließlich die Absichtserklärung, Österreich möge sich dafür einsetzen, die Entwicklung von KI-Waffen zu unterbinden.
Der Österreich-Abschnitt des Digital Decade Reports der EU beurteilt Österreichs Digitalfortschritte recht skeptisch. Bei der Abdeckung mit Hochleistungsnetzwerken liege Österreich etwa 25% unter dem EU-Schnitt. Unternehmensdigitalisierung liege mit etwas über 50% Basislevel-Zielerreichung etwa im EU-Schnitt, großen Aufholbedarf gebe es allerdings gerade bei Daten- und Analytics-Themen. Überdies wüssten ÖsterreicherInnen zu wenig über Datenschutz, digitale Sicherheit von Kindern und Jugendlichen.
Angesichts der auch auf EU-Ebene eher ernüchternden Ergebnisse zur Digital Decade ist das allerdings gar nicht so schlimm. Aber schauen wir mal, was uns in den nächsten Wochen noch alles an mehr oder weniger unterhaltsamen Wahlversprechen und -forderungen unterkommen wird.