Datenpolitik #17: Staats- und Big Tech-Piraten
Die UN Cybercrime Convention erlaubt weitreichende Überwachung und Big Tech will Medienpiraterie für KI-Training legalisieren lassen.
Die viel kritisierte UN Cybercrime Convention wurde vergangenen Freitag beschlossen. Und jetzt? Formell sind noch einige weitere Runden notwendig. Die nächste Generalversammlung muss den Beschluss akzeptieren. Dann die Konvention von 40 Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Erst danach gilts.
Russland gibt jetzt weltweit den Ton bei der Cybercrime-Bekämpfung an
Die Zahl von 40 Mitgliedsstaaten wurde in den Verhandlungen festgelegt. Die notwendige Quote wechselt von Mal zu Mal; 40 als relativ niedriger Wert gilt Beobachtern als weiterer Erfolg Russlands. Russland hatte die Verhandlungen initiiert und vorgeschlagen, nur 30 Ratifikationen als Schwellwert anzusetzen. Gegner der Konvention hatten versucht, den Wert auf 60 hinaufzuschrauben.
Es ist davon auszugehen, dass der aktuelle Beschluss auch diese Hürden nehmen wird.
Mittlerweile sind Aufzeichnungen der letzten Verhandlungsrunden auf UN WebTV zu sehen. Wer kurz reinhört, gewinnt den Eindruck langwieriger und verwickelter Diplomatie, in der kaum noch jemand eindeutige Positionen auf den Punkt bringt. Das ist verwunderlich, weil im Vorfeld viel und deutliche Kritik geäußert wurde. Die Abstimmung allerdings endete mit einer einstimmigen Annahme.
Beobachter digitaler Bürgerrechts-NGOs vermuten in diesem Abstimmungsverhalten den Versuch, multilaterale Kooperation auch in Kriegszeiten zu retten. Tanja Fachathaler, die die Verhandlungen für die NGO Access Now begleitete, sieht darin einen „großen Fehler“. Russland habe gelernt, wie in UN Gremien Mehrheiten zu beschaffen seien - und weitere Konventionen, etwa zu Cybersicherheit oder KI, stünden bereits im Raum.
Russland hat in Verhandlungen und Mehrheitsfindungen geschickt das postkoloniale Spiel gespielt und Länder wie Iran, Pakistan, Nigeria oder die DR Kongo ins Spiel gebracht. Deren Anliegen zu ignorieren wäre kolonialer Paternalismus, während, Russland die neue Schutzmacht der internationalen Anliegen dieser Nationen ist. Andere Nationen sehen in der Konvention die Chance, die Abhängigkeit vom Goodwill der USA oder von US-Unternehmen zu reduzieren. Bislang mussten internationale Strafverfolgung oder Informationsaustausch im Einzelfall erstritten werden, jetzt soll es eine klare Grundlage dafür geben.
Also alles bestens? Das österreichische Außenministerium sieht in beschlossenen Form der Konvention keine Probleme, alle kritischen Punkt seien wegverhandelt worden.
Mit der Konvention wurden allerdings eine Reihe von Anmerkungen veröffentlicht, die noch einmal ausdrücklich festhält, dass die Anwendung der Bestimmungen der Konvention im Rahmen der Menschenrechte geschehen muss und dass die Konvention nicht zur Verfolgung „politisch oder moralisch“ motivierter Verbrechen anzuwenden sei. - Was vermuten lässt, dass nicht alle den österreichischen Optimismus teilen, der alle Menschenrechts- und anderen Bedenken ausgeräumt sieht.
Was wird auf der Basis der Konvention möglich sein?
Wer in der zukünftigen Digitalgesetzgebung Bürgerrechte achtet oder Echtzeitüberwachung und Vorratsdatenspeicherung kritisch sieht, betreibt Goldplating und schöpft nicht alle Mittel aus, um Cybercrime zu bekämpfen. Selbst umfassende Überwachungsaktivitäten werden von UN-Recht gedeckt sein und es wird leicht sein, weitreichende Einschränkungen zu beschließen und noch immer darauf zu verweisen, dass auf dem Boden geltenden UN-Rechts noch weit mehr und strengerer Durchgriff möglich sei.
Russland sperrte vergangene Woche bereits den Zugang zu Signal. Signal Chefin Meredith Whittaker hatte sich oft und kritisch zu Überwachungsplänen und Entschlüsselungswünschen geäußert.
Journalismus - Wos is dei Leistung? (fragt Big Tech)
Vor einigen Wochen habe ich hier über heraufdräuende KI-Lizenzstreitigkeiten geschrieben. Meine These war: Tech-Unternehmen wie Open AI, Google oder Microsoft, die in großem Stil nachträglich Lizenzen für Inhalte einkaufen, werden diese Position dazu nutzen, Wettbewerber, die sich noch keine Lizenzen leisten können, aus dem Markt zu klagen.
Dieses Szenario hat jetzt eine neue und überaus absurde Facette dazugewonnen: Die New York Times hatte nicht nur keine Lizenzdeals mit KI-Anbietern abgeschlossen, sondern diese umgekehrt wegen der Nutzung von NYT-Inhalten für das Training von KI-Modellen verklagt. In diesem Rechtsstreit verlangt nun umgekehrt Open AI, die New York Times müsse nachweisen, dass die Storys im Archiv der NYT überhaupt schützbare Werke seien.
Dazu verlangt Open AI Zugriff auf alle Notizen, Entwürfe, Akten, Interviewmitschriften und -mitschnitte, die zur Erstellung der NYT-Inhalte benutzt worden seien. Am liebsten aus den letzten hundert Jahren. Erst wenn festgestellt sei, ob diese Inhalte überhaupt originäre Intellectual Property seien, könne entschieden werden, ob überhaupt darüber verhandelt werden könne, ob die Nutzung dieser Inhalte zum Training von KI rechtmäßig sei.
„That is not how copyright law works“, kontern die Times-Anwälte. Außerdem gefährde eine solche Offenlegung jeglichen Informantenschutz. Ein solcher Eingriff in das Herz eines Unternehmens wäre wohl ziemlich einzigartig. Und ein Meilenstein im Machtspiel zwischen Medien und Big Tech.
Medien haben sich mit jahrelanger Gratis-Inhaltekultur in eine ziemlich ungesunde Sackgasse manövriert, in der jetzt auch noch ganz andere Ansprüche wachsen. So behauptete Microsofts AI-Chef Mustafa Suleyman unlängst, es sei eine Art „Social Contract“, dass Inhalte, die im Netz veröffentlicht sind, dort von allen kopiert, recycelt und reproduziert werden könnten.
Das Verhältnis zwischen Medien und Big Tech ist noch schlechter als gedacht.