Datenpolitik #7: Im EU-Wahlkampf
Europa ist stolz auf seine Digital-Regulierungen von DSGVO bis AI Act. Wo und wir findet sich Datenpolitik in den EU-Wahlprogrammen der Parteien wieder?
Daten und Digitales gehören zweifellos zu den Kernthemen der EU. Europa ist stolz auf seine Digitalregulierungen und verfolgt große Pläne mit der europäischen Datenwirtschaft. Am 9. Juni wird das EU-Parlament neu gewählt - wo finden sich diese Themen auf dem Weg dorthin?
Es mag ein schlechter Zeitpunkt sein, gerade jetzt im österreichischen EU-Wahlkampf nach Sachthemen zu suchen. Ein paar Wahlprogramme wurde aber doch noch geschrieben, bevor die heimische Politik kollektiv im House of Farts-Taumel versank oder aus Angst, irgendwo falsch anzustreifen, lieber mal gar nichts sagt.
In dieser Datenpolitik-Ausgabe nehme ich die Digitaltauglichkeit der EU-Wahlprogramme der österreichischen Parteien unter die Lupe. Wer hat relevante Themen auf seiner Agenda, wer behandelt die Themen so, dass sie auch auf EU-Ebene gelöst werden können? Dezentes Gegenbeispiel dazu und gleich Bonus der Woche ist Gerhard Schindler, ehemaliger Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes, der unlängst in einem Interview seinen Nachfolgern und Kollegen ausrichtete, man möge doch „Hackbacks“ unternehmen, wenn man angegriffen werde, und mal „eine Email zurückschicken und den Server, der uns angreift, erstmal ausschalten.“ Ich konnte das auch nicht glauben und dachte an einen lustigen Lipsynch-Stunt, aber der Spruch ist bei Spiegel TV belegt.
Die Wahlprogramme im Überblick - Choose your Fighter
Finden wir ähnliche Perlen in den Wahlprogrammen? Nicht ganz. Im knappen Wahlprogramm der FPÖ finden sich eine Reihe markiger Sprüche. Unter anderem fordern die Blauen ein „Ende der Korruption“ durch ein “Hausverbot für Lobbyisten“. Das letzte Mal als ich nachgesehen habe, waren die FPÖ-Abgeordneten im EU-Parlament die einzigen österreichischen Abgeordneten, die keinen einzigen Lobbyisten- oder sonstigen Termin dokumentiert hatten.
Digitales wird nur in einem Absatz zu Zensur und Überwachung gestreift. Der Digital Services Act sei ein „Zensurgesetz“, Maßnahmen gegen Desinformation und Hassrede seien Vorboten willkürlicher Freiheitseinschränkungen und Maßnahmen für Medienfreiheit sollten neue Aufsichts- und Zensurbehörden mit sich bringen. Gemeint ist damit vermutlich der European Media Freedom Act (EMFA), der unter anderem Medien besser vor politischer EInflussnahme schützen soll.
Der Zugang der Freiheitlichen ist kreativ, die Einstellungen zu mehr oder weniger Regeln, Regulierung oder „Freiheit“ ist aber die deutlichste Trennlinie zwischen den Wahlprogrammen der einzelnen Parteien. Die FPÖ richtet sich also gegen Regeln, damit steht sie zumindest in dieser Hinsicht auf einer Seite mit FPÖ und NEOS, auch wenn letztere zumindest aus anderen Gründen andere Regelungen nicht wollen.
Grüne und SPÖ dagegen sprechen sich ganz ausdrücklich für mehr Regeln aus.
Schreckgespenst Automatisierung
Die SPÖ hat mit 28 Seiten das schlankste EU-Wahlprogramm. Zentrale Themen sind Steuergerechtigkeit und Arbeitsplatzsicherheit. Digital führt das zur Forderung nach einem Investitionsplan für digitalen Wandel, der Folgen digitalen Fortschritts für ArbeitnehmerInnen abfangen soll. Auch im Umgang mit Künstlicher Intelligenz gelingt es den Sozialdemokraten, die für viele ExpertInnen komplexe Materie gekonnt zu vereinfachen: Eine EU-Richtlinie muss her, die den Einsatz von KI am Arbeitsplatz regelt.
Der Rest wird auf die lange Bank geschoben und mit dem Ruf nach einer europaweiten Gesamtstrategie für KI, Datenschutz und Digitalisierung in ein garantiert unbewältigbares oder im Ergebnis nichtssagendes Paket verpackt. Aber gut, die Begriffe kommen vor.
Mach ma halt Innovation
Die Neos legen 42 Seiten Wahlprogramm vor. Kernthemen sind die europäischen Institutionen, deren Handlungsfähigkeit und die Sicherheit Europas. Innovation und Technologie sind Zukunftsthemen, die schon geregelt, aber nicht ausgebremst werden sollten. Neos unterstützen den digitalen Binnenmarkt und andere Projekte der europäischen Datenpolitik. Europa soll zum KI Vorreiter werden, Cybersicherheit ist relevant und mit Sandboxes für Startup und Forschung, in denen auch ansonsten streng regulierte digitale Experimente mit weniger strengen Auflagen durchgeführt werden können, sollen Grenzen für den digitalen Fortschritt aufgeweicht werden.
In den konkreten Forderungen steckt vieles, das im aktuellen Stand der EU-Digitalregelungen schon vorgesehen ist. Andere Themen bleiben im vagen Wohlfühlbereich.
Landwirtschaftsförderung forever, keine ausländischen KIs!
Die ÖVP liefert 57 Seiten zu Sicherheit, Wirtschaft und Landwirtschaft. Sicherheit ist dabei weniger militärisches Thema als eine Sache von Asyl und Migration. Wirtschaft möchte ganz pauschal weniger Regulierungen und zentrales Thema der Landwirtschaft sind nicht etwa Klima, Ernährungssicherheit oder Nachhaltigkeit sondern Förderungen.
Digitalisierung tritt im Programm vor allem in Form von Digitalisierung von KMUs auf (ein Fall für die Wirtschaftskammer?) und zwei konkrete Forderungen lassen dann erstaunt aufhorchen. So fordert die ÖVP ganz konkret „Sanktionen, einschließlich Marktausschluss, für KI-Systeme aus Drittländern, die durch ihre Gesetze ideologische Einschränkungen in Algorithmen einsetzen“. Das ist eine gewagte Ansage. Jede KI unterliegt gesetzlichen Regelungen. Es ist einer der relevantesten Fortschritte der KI-Entwicklung, mehr als statistische Grundlagen in KI umsetzen zu können. Künstliche Intelligenzen sollen nicht dabei helfen Mordkomplotte zu schmieden oder Mobbing-Tipps zu geben. Oder doch, wenn rechtliche Einflussnahme unerwünscht ist? Oder erwartet man islamistische, chinesische oder russische KIs, die die Jugend verderben? Möchte die ÖVP TikTok verbieten? Schließlich wurden auch Punk und Marihuana schon mal verdächtigt, subversive Elemente der chinesischen Konter-Kulturrevolution zur Destabilisierung des Westens zu sein.
Das Anliegen der ÖVP ist nachvollziehbar, Desinformation ist ein großes Problem. Der Zugang wirkt fragwürdig. Und das ist nicht der einzig fragwürdige Punkt. So hat die ÖVP auch die „Schaffung eines europäischen digitalen Systems, in welchem wir unsere Daten nach europäischen Werten schützen und nützen“ auf dem Wunschzettel. Ist „System“ hier etwas Konkretes, Technisches? Aber was um Himmels Willen? Oder nur eine vage Vorstellung im Sinn einer Weltanschauung, die grob einen Rahmen absteckt? Oder ein europäischer Gegenwurf zur US-chinesisch dominierten Digitalwelt? Wahrscheinlich werden wir es nie erfahren. Ganz einfach, weil es niemand wirklich erklären kann.
Herzchen-Partei: Eh alles gut, aber nicht zu wild bitte
Die Grünen kritisieren gleich zu Beginn ihres 108 Seiten umfassenden Programms die technische Abhängigkeit Europas von den USA oder China. Von dort gelingt sehr schnell der Schwenk zu Green Tech. Mittlerweile ist etabliert, dass praktisch alle Themen eine Nachhaltigkeitskomponente haben – also kann man immer schnell auf diese zu sprechen kommen. Digitales schlägt durch, wenn freie Medien ohne Manipulation gewünscht werden, wenn Europa „digitale Chancen nützen“ soll, oder wenn Transparenz und offenes Internet sichergestellt werden sollen. Im Gegensatz zu den Neos, die ähnliche Punkte als Innovationsthemen auf ihrer Agenda haben, sind Innovation, Wettbewerb und Transparenz für die Grünen Regulierungsthemen. So möchten sie auch den Wettbewerb zwischen Medien und Plattformen „verbessern“ und dafür neue „Regeln schaffen“.
Und auch hier gibt es diesen einen Punkt, der den Leser staunen lässt: Die Grünen möchten in „eine hochentwickelte, europäische Internettechnologie investieren“. Das soll zu Datensouveränität führen. Haben wir es auch hier mit der Idee vom Nachbau eines europäischen Internet zu tun, die schon seit über einem Jahrzehnt nicht funktionieren will?
Offene Baustellen
In der aktuellen Periode des EU-Parlaments sind einige Digital- und Datenthemen auf den Weg gebracht worden. Ein großer Brocken sind neue Überwachungsmaßnahmen. Unter dem Stichwort Chatkontrolle werden weitreichende neue Kontrollmaßnahmen besprochen. Dabei sollen Ausnahmen für Polizei und Behörden gelten, für Journalisten und NGOs nicht. ExpertInnen wie Meredith Whittaker, Präsidentin der Signal Foundation, weisen immer wieder darauf hin, dass das nicht funktionieren wird. Es gibt keine Verschlüsselungstechnologie, die nur von den Guten eingesetzt werden kann und für die Bösen unknackbar ist.
Der digitale Euro ist ebenfalls noch offen; Regeln zur Haftung rund um KI waren noch angekündigt und die europäische Datenwirtschaft wird die EU Institutionen noch länger beschäftigen.
Im laufenden Wahlkampf war davon bislang wenig zu hören, schon gar nicht in Österreich.
In der heimischen Netzpolitik ist das nichts neues. Die Netzpolitik- oder DIgitalisierungssprecher der Parlamentsparteien haben sich diese Woche mit Lebensmittelpreisen beschäftigt, ein Weinfest eröffnet, Corona-Wiedergutmachung versprochen, die Eröffnung eines Elektrotechnik-Shops gefeiert (immerhin!) , oder uns ihren Spitznamen enthüllt.
Ich glaube, diese Rundschau hat das Potenzial zu vielen erhellenden Fortsetzungen.