Datenpolitik #11: EU-QAnon
Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft kündigt einen Schwerpunkt gegen Kindesmissbrauch und damit für Chatkontrolle und Überwachung an. Entsteht hier eine datenpolitische europäische QAnon-Legende?
Kontrolle und Überwachung sind noch lange nicht vom Tisch. Wer die Chatkontrolle-Diskussion in den vergangenen Monaten mitverfolgt hat, war in den vergangenen Wochen wohl überrascht, wer sich aller zuletzt dazu geäußert hat - und hocherfreut war, dass sie Sache jetzt ausgestanden sei.
Chatkontrolle und ausgerechnet Ungarn
Die Diskussionsqualität war so mangelhaft wie die Einschätzung, dass Internet und Kommunikationsfreiheit nun gerettet seien, fehlerhaft war. Chatkontrolle, also der Wunsch, Messenger-Kommunikation für Behörden einsehbar zu machen, ist keineswegs vom Tisch, es wurde schlicht keine Entscheidung getroffen. Es gibt einen Kompromissvorschlag der eben abgetretenen belgischen Ratspräsidentschaft, der freundlicher klingt, aber dennoch Sprengstoff birgt. Statt nachträgliche Entschlüsselungsmöglichkeiten für Behörden zu schaffen, sollen Messengeranbieter schon beim Upload von Bildern oder Videos auf verdächtige Inhalte filtern. Das soll auf freiwilliger Basis geschehen; wer nicht zustimmt, bekommt dann eben keinen Zugang zu diesen Funktionen. Für ähnliche Pornodetektoren zur moralischen Stützung der Bevölkerung ist vor einigen Jahren noch Ugandas Dauerpräsident Museveni ausgelacht worden. Und es war der Beginn einer Reihe von weiteren Maßnahmen wie Social Media-Tax und Interneteinschränkungen.
Kontrollverpflichtungen auf private Unternehmen, die unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen abzuwälzen, das ist kritisch. Zweiter Einwand: Diese Idee hilft vielleicht gegen die Verbreitung bereits bestehender kritischer Inhalte. Sie leistet aber nichts, um die Planung von kriminellen oder terroristischen Handlungen zu unterbinden. Es ist das Paradebeispiel eines schlechten Kompromisses.
Entscheidungen liegen nach der EU-Wahl vorübergehend auf Eis. Spannend wird die Frage, wie sich das Erstarken rechter Positionen in Europa auf Kontroll- und Überwachungsentscheidungen auswirken wird. Die datenpolitische Analyse der EU-Wahlprogramme hat eine eindeutige Trennlinie zwischen Regulierungsbefürwortern (links und konservativ) und Regulierungsgegnern (rechts und liberal) gezeigt. Rechte müssten eigentlich gegen Kontrolle und Überwachung auftreten. In der unsäglichen Verbindung mit dem Kindesmissbrauchsthema sind allerdings populistische Platitüden wohl zu sehr und eindeutig aufgelegt. Die eben startende ungarische Ratspräsidentschaft hat bereits angekündigt, der Bekämpfung von Kindesmissbrauch besonderes Augenmerk zu schenken. Ich bin sehr neugierig, wo das datenpolitisch hinführt und wie lang es dauert, bis darauf eine europäische QAnon-Saga entsteht.
Datenpolitik: Paragraphen-Prinzen
Datenpolitische Kontrollthemen bleiben auf der Agenda der nächsten fünf Jahre. Hier wird es viele Wiedergänger geben. Vorratsdatenspeicherung kehrt in der Form von Regeln zur Datenaufbewahrung zurück. Das wird teuer für Provider und Servicebetreiber. Und das wirft viele Fragen rund um Zugriffsrechte, Absicherung und konkrete Überwachungsentscheidungen auf.
Ein weiterer Schwerpunkt heißt Fairness. Digitale Ungleichgewichte und Machtasymmetrien sollen behoben werden. Das birgt viel Potenzial für unklare Regeln, Schein- und Schattendiskussionen, Bürokratie, neue Behörden mit diffusen Aufgaben und neuen unverständlichen Expertenprofilen. So wie in den vergangenen fünf Jahren schon unzählige neue Gremien auf diversen Ebenen eingerichtet werden mussten. Und ich sehe schon strahlende rettende Prinzen, die im Kleid der Bürgerrechte auf stolzen Amtsschimmeln in den Kampf gegen ihre eigenen vollmundigen Ankündigungen reiten werden. Bei der Regulierungsfreudigkeit, die sich vor allem in linken und grünen Programmen abgezeichnet hat, wird das ein exzessives und explosives Experimentierfeld. Ich beobachte.
Weitere offene Digital- und Datenthemen auf EU-Ebene sind Transparenz im Werbemarkt (auch da platze ich vor Neugierde und Erwartung), Altersverifikation und Digitale ID und, als Fortsetzung des AI Acts stehen Regelungen zu KI und Urheberrechten und KI und Lizenzen an.
Politik: Digitalisierung, so wichtig!
Das sind relevante datenpolitische Entscheidungen, für die datenpolitische Debatten notwendig wären. Dieses politische Feld bleibt weitgehend unbestellt. Im deutschen Bundestag waren unlängst Expertinnen und Experten zum datenpolitischen Hearing geladen. Die Zusammenfassung gibt natürlich weniger relevante Datendiskussionsthemen als politische Positionen wieder.
Die Grünen hatten eine Vertreterin vom Wikimedia geladen, die die Überschätzung von Daten und Innovation betonte. Stattdessen sei höheres Augenmerk auf Prozesse zu legen und auf die Frage, was wir eigentlich mit Daten machen. Der Position kann ich bekanntlich einiges abgewinnen.
Der SPD-Experte sprach sich erwartbarerweise für Demokratisierung und die Frage des Nutzens von Daten für Kleine aus. Machtasymmetrien bewirken Abschreckung und stellen Hürden auf, die die Entwicklung eines europäischen Datenmarkts für alle behindern.
Auf Einladung der FPD wetterte jemand gegen Aufsichtsdschungel und Behördenwildwuchs, auf Einladung der Linken forderte jemand, Daten für Gemeinwohl in die Pflicht zu nehmen und Menschen zu digitaler Selbstbestimmung zu ermächtigen.
Die CDU bot eine Vertreterin von Microsoft auf, die daran erinnerte, die ökonomischen Aspekte der Datenökonomie nicht aus den Augen zu verlieren, was für die Mitarbeiterin eines der größten Tech-Konzerne eventuell ein wenig zu naheliegend ist.
Und auch Datenschützer Max Schrems hatte seinen Auftritt und erinnerte an unsicheren Datenschutz und zahlreiche Datenschutzschlupflöcher. Bei dieser Vorstellung dräuen bei vielen Vorstellungen bösartiger Datenkraken herauf, die diese Schluplöcher missbrauchen. Wer beruflich mit Daten zu tun hat weiß allerdings: Für Unternehmen sind diese Schluplöcher ebenso lästig wie für User. Sie sorgen für Unklarheit, sie schaffen Unsicherheit darüber, was erlaubt oder verboten ist und sie verhindern vieles.
So wenig erhellend das Hearing war, war es doch ein Lichtblick im Vergleich zu einer Digitalisierungsdebatte österreichischer Parteienvertreter, die sich darüber einig waren, dass Digitalisierung wichtig ist.
Danke für die Erkenntnis. Datenpolitik im Wahlkampf wird toll, ich bin bereit!