Datenpolitik #23: Digitale Feudalherrschaft
Österreich wählt; Digitalpolitik hierzulande ist das Relikt einer Feudalherrschaft. Viktor Orbán will dein Handy kontrollieren und die EU lässt das möglicherweise zu.
Am Sonntag wählt Österreich. Armut, Umwelt, Migration, Krieg - zugegebenermaßen gibt es ausreichend Themen. Dennoch: Digitalpolitik in den Wahlprogrammen ist auf homöopathische Dosen beschränkt. Die Homöopathie-Verwandtschaft beschränkt sich nicht auf die Dosis, sie besteht auch in der Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit. Digital- und datenpolitische Ansätze sind so generisch, unreflektiert und großteils kompetenzfern, dass sie alles und nichts bedeuten können. Es wird starke Placebo-Drogen brauchen, um diese dünnen Suppen zu irgendeiner Form von Substanz einkochen zu können.
Datenpolitik wie beim Kaiser
Digitalpolitik wird heute noch so betrieben wie digitale Kommunikation vor 25 Jahren: Es soll sich wer anderer darum kümmern, der Assistent oder die Auszubildende, während die Erwachsenen echte Probleme lösen.
Meine liebsten Beispiele sind die Bekenntnisse zu grundrechtskonformer Überwachung auf der einen Seite und das Geplärre um Zensur bei den anderen. Beides sind freiwillige Inkompetenzbekenntnisse, die liebgewonnene Politrituale (Freiheit! Ordnung! Gerechtigkeit!) planlos auf beliebige Themen übertragen und diese Themen nicht im mindesten streifen. Überwachung ist erst in dritter oder vierter Linie eine Frage von Grundrechten. In erster Linie schafft Überwachung den Bedarf nach und die Finanzierung von Technologien, deren Sinn und Zweck darin besteht, kriminelles Potenzial zu entfalten und gegen Menschen eingesetzt zu werden.
Der Kampf gegen vermeintliche Zensur ist dann konsequenterweise das Eintreten für die ungehinderte Ausbreitung ebendieser Technologien und deren Folgen.
Aktuelle Digitalpolitik in Österreich - sei es in Form von Überwachungswünschen der Obrigkeit oder als schlecht verstandener Meinungsfreiheitskampf - ist das Relikt einer Feudalherrschaft, die das Gsindel zu kontrollieren wünscht. Zur Ablenkung und Unterhaltung gibt es dann ein wenig Brot und Spiele in Form (in den letzten Jahrzehnten) Vernetzungs-, Daten- und KI-Panik. Die Akteure und vermeintlichen Experten bleiben die gleichen, die Narrative wiederholen sich und auch Inszenierung und Dramaturgie bleiben ebenso konstant wie der Output. Der liegt allerdings bei Null.
Zukunftsgerichtete Daten- und Digitalpolitik müsste lernen, sich von den überlieferten Erzählungen des kriminellen Internet zu verabschieden und sich an der augenscheinlichen Tatsache ausrichten, dass digitale Kommunikation und Kollaboration zu den tragenden Säulen unserer Zeit gehört, die Rolle vieler früher relevanterer sozialer Bindungen übernimmt und eine gut dokumentierte und sehr leicht zugängliche Zusammenstellung der persönlichsten, wichtigsten und privatesten Momente von Menschen enthält. Wo das Konsens einer Digitalpolitik für Menschen ist, kann weitergearbeitet werden. Alles andere ist die sinnentleerte Wiederholung von Traditionen.
Je nachdem wie die Sache ausgeht, werden uns Überwachungswünsche in der Zukunft ebenso befremdlich erscheinen wie Ablasshandel und Inquisition. Oder, wenn wir als Hirne im Gurkenglas enden, wir werden uns fragen, warum wir hier so lange diskutiert haben und nicht gleich alles aufs transparenteste und notwendigste reduziert haben.
EU-geförderte Spyware auf jedes Smartphone. Ungarn gefällt das.
Während Österreich herumeiert und tollkühne Volkstänze rund um die heiße Digital-Kartoffel vollführt, nimmt Ungarn in seiner Rolle als EU-Ratspräsidentschaft einen neuen Anlauf, um die Chatkontrolle durchzusetzen. Diese soll, geht es nach dem Willen der Kommission, Messengerbetreiber dazu verpflichten, anlasslos sämtliche Kommunikationsinhalte nach Straftaten zu scannen und bei Verdacht an Behörden weiterzuleiten. Die mathematische Unsinnigkeit dieses Vorhabens war letzte Woche hier Thema.
Zu viele Staaten unterstützen Chatkontrolle, Einwände richten sich gegen Details und fordern Einschränkungen, die nicht die Technik, sondern allenfalls die Anwender beschränken. Die also spielend leicht zu umgehen sein werden.
Die kritischen Staaten haben zu wenig Bevölkerungsanteil für eine Sperrminorität in der Kommission. Das nützt Ungarn, um Chatkontrolle - ebenfalls nur mit kleinen anwenderorientierten Einschränkungen, die die Technik nicht beschneiden - möglichst schon am 10. Oktober beschließen zu lassen. Netzpolitik hat ein Dokument zum aktuellen Status der Diskussion veröffentlicht.
Österreich zeigt sich darin erfreulicherweise nach wie vor kritisch. Die Position ist allerdings keine eigene und inhaltliche, sondern eine formale: Österreich verwies darauf, dass der juristische Dienst des EU-Rats die aktuelle Planung als grundrechswidrig einschätzt.
304 WissenschaftlerInnen haben einen kritischen offenen Brief unterzeichnet, der auf die grundlegenden Risiken von staatlicher Spyware und anlassloser Massenüberwachung hinweist. Die wesentlichen Kritikpunkte: Fehlentscheidungen der Software (wie letzte Woche hier dokumentiert), die Unmöglichkeit, behördenfreundliche aber verbrechersichere Verschlüsselung zu betreiben, die Unangemessenheit anwenderorientierter statt technischer Beschränkungen und schließlich die Gefahr des Mission Creep. Technologie, die in der Welt ist, wird eingesetzt werden. Je üblicher Überwachung ist, desto eher werden sich Überwachungsfälle ausbreiten und desto schwächer werden die Bedenken, Privatsphäre, Sicherheit oder Angemessenheit zu berücksichtigen.
Schlechte Zeiten für Internetsicherheit
Russland hat seine UN Cybercrime Convention durchgesetzt, ob Ungarn sich mit der Chatkontrolle einen weiteren Schritt in den Keller als Erfolg auf die Brust heften kann, wissen wir in zwei Wochen.
Indessen ist wohl der einst sichere Tor-Browser, der Spuren im Internet verwischte, geknackt worden. Behörden soll es gelungen sein, die Anonymisierung zu umgehen - eine wichtige Voraussetzung, um Internetsperren wirkungsvoll durchsetzen und unliebsame Kommunikation überhaupt unterbinden zu können. Die Feudalherrschaften lassen grüßen.
Dazu passend werden auch die deutschen Überwachungspläne immer mehr und konkreter. Und Deutschland möchte auch gleich wieder IP-Adressen speichern, um bequem strafverfolgen zu können.